Unsere Gesellschaft verändert sich, und damit auch die Art von Gewalt. Gewalt nimmt Formen an, die uns erschüttern und zutiefst wütend machen müssen. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder, vor allem in Chats 💬, ist dabei ein wachsendes, bedrückendes Problem. Der Schutz der Kinder ist dabei ein humanistisches Gebot: 🚨 Täter müssen mit aller Härte des Gesetzes gefasst, bestraft und Übergriffe mit aller Kraft verhindert werden. Als Eltern, als Erwachsene, als Gemeinschaft dürfen wir nicht wegschauen.
Wer Menschlichkeit will, muss den Mut und die Kraft aufbringen, diese Missstände zu benennen und entschlossen dagegen vorzugehen. Bisher stemmen engagierte Profiler, Polizisten und Sozialarbeiter diese schwere Arbeit, oft an ihren persönlichen Grenzen. Kriminelle Clans und Ringe, wie das Netzwerk „764“ sind dabei besonders gefährlich und erfinden sich immer wieder neu
www.tagesschau.de/investigativ/ndr/sadismus-online-netzwerk-manipulation-kinder-jugendliche-100.html. Deshalb muss der Staat seiner Schutzpflicht gerecht werden und entschlossen und konsequent handeln.
2024 hat die Polizei, laut BKA, knapp 18.000 Fälle von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen registriert. Bundesweit führt Bremen mit 29,6 Fällen pro 100.000 Einwohner das Bundesländer-Ranking an, während Sachsen mit 21,5 Fällen im Mittelfeld liegt. Rund 74% der Opfer waren Mädchen, 95% der Täter männlich, und etwa ein Drittel der Tatverdächtigen ist selbst unter 18 Jahre alt! Seit 2019 stiegen die polizeilich erfassten Fälle im Bereich kinderpornografischen Materials von 12.262 auf über 42.854 Fälle. Über 85% davon entfallen auf die Verbreitung und den Besitz der entsprechenden Materialien
www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/SexualdeliktezNvKindernuJugendlichen/2024/BLBSexualdelikte_2024.html .
Diese Zahlen bilden jedoch nur die Spitze des Eisbergs ab und stellen die Behörden weiterhin vor große Herausforderungen. Der registrierte Anstieg wird dabei primär auf intensivere Ermittlungen, verbesserte technische Mittel und eine stärkere Meldebereitschaft zurückgeführt, zeigt aber ebenso besorgniserregende Veränderungen bei den Tatstrukturen.
Mehr als 60 Prozent der Fälle ereignen sich über digitale Kommunikationsplattformen. Cybergrooming, seit 2004 gemäß § 176 Absatz 4 Nr. 3 Strafgesetzbuch strafbar, nimmt zu und führt auch zu Fällen von sexuellem Missbrauch. Im Jahr 2024 wurden 3.457 Fälle von Cybergrooming zur Anzeige gebracht
www.polizei-beratung.de/aktuelles/detailansicht/bundesweite-polizeiliche-kriminalstatistik-pks/ . Eine aktuelle Studie der Medienanstalt NRW zeigt, dass etwa ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland bereits Erfahrungen mit Cybergrooming gemacht haben
www.medienanstalt-nrw.de/fileadmin/user_upload/Forschung/LFM_Cybergrooming_Studie_2024.pdf , was bei einer geschätzten Zahl von 14 Millionen entsprechenden Alters etwa 3,5 Millionen Betroffene bedeutet. Über digitale Kommunikationsplattformen verschwimmen gesellschaftliche Schamgrenzen und moralische Maßstäbe; Täter nutzen die Anonymität des Internets, um ungehindert und skrupellos an Kinder und Jugendliche heranzutreten und Grenzen zu überschreiten. Hier ist dringend gesamtgesellschaftliches Handeln gefragt.
Ausgehend von den 42.854 polizeilich erfassten Fällen im Bereich kinderpornografischer Materialien im Jahr 2024 und einer angenommenen Dunkelziffer, die das Dreifache beträgt (also etwa 128.562 Fälle insgesamt), entspricht das rund 0,15% der Bevölkerung in Deutschland (bei etwa 83 Millionen Menschen). Hochgerechnet ergibt sich damit statistisch etwa ein möglicher Täter auf 667 Einwohner. Für Sachsen mit rund 4 Millionen Einwohnern würde das ca. 6.200 potenzielle Täter bedeuten. Es bleibt festzuhalten, dass die tatsächlichen Täter das zentrale Problem darstellen. Deshalb muss effektive Prävention und Intervention prioritär darauf abzielen, solche Taten frühzeitig zu verhindern und im Keim zu ersticken.
Bereits die Hellfeld-Zahlen sind für uns deutlich zu hoch. Die EU zieht den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt als zentralen Anlass und Rechtfertigung für die geplanten Kontrollmaßnahmen heran. Dennoch stellt sich die berechtigte Frage: Ist eine anlasslose, flächendeckende Massenüberwachung privater Kommunikation tatsächlich der richtige Weg? Jede private Nachricht soll automatisiert und vorab überprüft werden, selbst in verschlüsselten Chats. Dies käme einer digitalen Untersuchungshaft gleich und würde nicht nur das Grundrecht auf Brief- und Fernmeldegeheimnis massiv verletzen, sondern auch tief in die Privatsphäre und die Freiheitsrechte aller eingreifen.
Messenger-Dienste würden zu Erfüllungsgehilfen der Justiz und damit zu umfassenden Überwachungsinstanzen, indem sie sämtliche Chats, Bilder und Videos automatisiert scannen, gegebenenfalls löschen und melden müssten. Doch schon heute können Täter auf schwer kontrollierbare, verschlüsselte Dienste ausweichen, und mit Verabschiedung der Chatkontroll-Verordnung werden sich weitere neue Wege eröffnen, der staatlichen Kontrolle zu entgehen. Wie Benjamin Franklin einst warnte: „Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.“ (Wer seine grundlegende Freiheit aufgibt, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erlangen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.)
Die geplante Massenüberwachung würde unsere Kommunikationsmöglichkeiten grundlegend verändern: Messenger wie Signal drohen bereits mit einem Rückzug aus Europa, und Meta/WhatsApp kündigen juristische Schritte an. Das geforderte Client-Side-Scanning durchleuchtet private Kommunikation noch vor der Verschlüsselung und müsste dafür absichtlich Sicherheitslücken schaffen. 🔒 Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, eine zentrale Errungenschaft zum Schutz der Nutzerkommunikation, gilt inzwischen als Standard und würde durch die Verordnung ausgehebelt.
Hinzu kommt, dass die eingesetzten KI-Systeme fehleranfällig sind, massenhaft ⚠️ Fehlalarme erzeugen und harmlose Familienfotos nicht zuverlässig von illegalen Inhalten unterscheiden können. Wer einmal fälschlich als Täter eingestuft wurde, weiß, wie schwer es ist, die eigene Unschuld zu beweisen. Dieses Szenario erinnert an den Film „Minority Report“: umfassende Überwachung und Vorverurteilung ohne konkrete Beweise und ohne Möglichkeit zur Rehabilitierung.
Zudem verstößt die geplante Chatkontrolle gegen die seit 2018 geltende DSGVO, insbesondere gegen wesentliche Artikel wie Art. 5 (Grundsätze der Verarbeitung), Art. 6 (Rechtmäßigkeit der Verarbeitung), Art. 9 (besondere Kategorien personenbezogener Daten) und Art. 32 (Sicherheit der Verarbeitung). Ebenfalls werden Artikel 7 (Schutz des Privat- und Familienlebens), Art. 8 (Schutz personenbezogener Daten) sowie Art. 52 (Beschränkung der Grundrechte) der EU-Grundrechte-Charta verletzt. Um die Chatkontrolle umzusetzen, müssten bestehende Datenschutzregelungen und Grundrechte ausgehebelt, verändert oder durch neue Gesetze umgangen werden!
Ein Blick nach China genügt, um zu sehen, wie auch unter dem Vorwand des Kinderschutzes umfassende Überwachungssysteme errichtet wurden. Zudem offenbaren sich an diesem Beispiel die Schwachstellen absoluter Kontrolle: Trotz der umfassenden staatlichen Überwachung floriert ein Schwarzmarkt für persönliche Daten, darunter biometrische Gesichtserkennungsdaten und Gesundheitsinformationen, die illegal gehandelt werden
www.dw.com/de/handelt-china-mit-daten-aus-der-gesichtserkennung-ki-face-id-staatliche-kontrolle-v2/video-72898883 .
Zusammenfassend zeigt sich, dass die gute Absicht, Kindesmissbrauch durch das Scannen und Melden von Inhalten zu verhindern, durch solche Massenüberwachungsmaßnahmen erhebliche Risiken birgt. Deshalb gilt unser Dank den IT-Sicherheitsverbänden, dem Chaos Computer Club und all jenen, die mit kritischer Recherche auf diese Entwicklung aufmerksam machen.
Seit 2022 kommt die EU bei der Umsetzung der Chatkontrolle daher berechtigterweise nicht voran. Jüngst konnte Deutschland vermutlich zumindest vorerst einen Beschluss abwenden. Doch die Gefahr ist noch nicht gebannt. Aber auch in Deutschland selbst wird an umfassenden Überwachungsmaßnahmen weitergearbeitet: Während sich die Chatkontrolle vor allem auf die Erkennung von Inhalten konzentriert, zielt die Vorratsdatenspeicherung darauf ab, zu erfassen, wer wann mit wem kommuniziert hat. Für die Vorratsdatenspeicherung ist in Deutschland in naher Zukunft ein entsprechender Beschluss zu erwarten, obwohl 2022 das EuGH urteilte, dass auch die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gegen Grundrechte verstößt.
Um den Kreis zu schließen: Der Schutz von Kindern bleibt und ist oberstes Gebot! Dieser Schutz darf jedoch nicht auf Kosten der Freiheit und Rechte aller gehen. Wir brauchen kluge, gezielte Polizeiarbeit, besser qualifizierte Fachkräfte, zeitgemäße technische Ausstattung, Ausbau internationaler Kooperationen, effektive Präventionsprogramme sowie rechtsstaatliche Maßnahmen & Urteile statt pauschaler Massenüberwachung. Ein wichtiger Schritt ist das seit Kurzem in Kraft getretene „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, das u.a. Schutzkonzepte zur frühzeitigen Erkennung von Grooming vorsieht und die Verhinderung von Übergriffen zum Ziel hat.
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